Zonensplit am 8. Januar 2021 in der Stromverbundzone Mittel-Europa / Vorderasien

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45-Prozent-Regel: Die Gefahr eines flächendeckenden Stromausfalls besteht erst, wenn mehr als 55 Prozent Fakepower eingespeist werden. 70 Prozent werden immer wieder erreicht, aber nur, weil die Nachbarstaaten diesen Strom importieren. Am 8. Januar 2021 wurden nur 30 Prozent Windstrom und Solarstrom eingespeist.

Explainer Services #5 - Outage planning coordination

17. Oktober 2018 | ENTSO-E - European Network of Transmission System Operators for Electricity
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NAEB 2102.1 am 20. Januar 2021

Dieser NAEB-Pressetext ergänzt den vom 17. Januar 2021 um tiefschürfende technische Einzelheiten.

ENTSOE-Ereignis Zonen Split am 8.1.2021 (Südost und Rest)

Informationsstand 20. Januar 2021

ENTSOE ist die Strom-Verbundzone Mittel-Europa /Vorderasien (Türkei), in der Frequenz, Phasensynchronität und Spannung gemeinsam über alle Regelzonen hinweg geregelt werden.

Dieser Artikel enthält für einen Stromnetzbetrieb relevante technische Details. Allerdings sind diese hier zum Verständnis erforderlich, um wilden, teils abstrusen Theorien vorzubeugen. Sollten Sie technische Verständnisfragen haben und den Text vollständig oder auch teilweise übernehmen wollen, wird selbstverständlich inhaltliche Hilfestellung gegeben.

Einführung

Inzwischen überschlagen sich freie Medien mit Beinahe-Blackout und Power-Hacking-Theorien frei nach Claus Schwab und anderen. Dieses kann man nur als Unsinn bezeichnen. Die Ursache wird von uns im Folgenden klar zugeordnet: Ein Stromdraht wird auch im Winter heiss, wenn man ihm zuviel Ampere (Strom) zumutet und dann fällt er aus. Eine Frequenzabweichung (einmal positiv, einmal negativ) nach einem Leitungsausfall wie hier geschehen, ist dann die zwangsläufige Konsequenz. Für diese hier eingetretene Konstellation zeigen wir sieben wichtige Randbedingungen auf. Das Ausbleiben von Punkt 7 (Stromsparempfehlung) hätte unter Umständen einen Stromausfall in Frankreich zur Folge haben können.

Konkret

Am 8. Januar 2021 gab es in der Zone ENTSO um 13:05 Uhr UTC (14:05 MEZ) einen Frequenzbruch mit vermutlichem Überschreiten der 200 mHz-(milli-Hertz)-Abweichungsgrenze, was zu einem automatischen Trennen der Zone führte, nachdem (vermutlich) eine Leitung in Rumänien überlastet wurde.

Nach Vorliegen weiterer Informationen zum Vorgang stellt sich heraus, dass dieser eine erhebliche Brisanz erhält und im Falle einer Wettersituation mit hoher Windstromeinspeisung in der BRD mit höchster Wahrscheinlichkeit zu einem Stromausfall in zumindest zwei von vier Regelzonen geführt hätte.

Die Randbedingungen für den Leitungsausfall

  • 1. Frankreich hat generell bedingt durch intensiven Elektroheizungseinsatz einen hohen Strombedarf im Winter und bezieht schon seit vielen Jahren im Winter bei Kaltwetterlagen viel Strom aus dem Ausland. Zusätzlich hat man in 2020 beide KKW-Blöcke Fessenheim ersatzlos abgeschaltet, was die Unterdeckung um circa 1,8 GW vergrößerte.
  • 2. Am fraglichen Tag herrschte eine Durchschnittstemperatur um die Null Grad, was generell für die Jahreszeit nicht besonders niedrig ist, aber in der Situation schon Unterdeckung bedeutete; es musste also von weit her zugekauft werden – siehe Punkt 5. Letztlich blieb nur Osteuropa.
  • 3. Die Engpass-Situation in Frankreich wurde verschärft, weil die Stationen Bugey 3, Gravelines 3, Chinon 2, Cruas 1, Chooze 1 sich in Wartung befanden beziehungsweise mit reduzierter Leistung liefen, was in Summe ca. 3 GW ausgemacht haben könnte.
  • 4. Hauptexporteur nach Frankreich war für diese Jahreszeit in der Vergangenheit die BRD mit den nahe gelegenen Braunkohlekraftwerken des rheinischen Reviers, aber auch die Niederlande mit seinen Gaskraftwerken.
  • 5. In der BRD wurden auf Grund des in 2020 entschiedenen Kohleausstiegs unter anderem die Kohlekraftwerke in Hamm und Hamburg (Blöcke Westfalen und Moorburg) mit rund 2,5 GW 7,5 Tage vor dem Beinahe-Blackout dauerhaft vom Netz genommen. Damit war die Sicherungsfunktion gemäß Punkt 4 nicht mehr gegeben.
  • 6. Zum fraglichen Zeitpunkt war gemäß ENTSO die Versorgung in der BRD trotz einer für einen Freitag Nachmittag vergleichsweise hohen Last exzellent gegen Lastschwankung, Störfall (n-1), und volatilen Strom aus Fakepower abgesichert bedingt durch einen Anteil an Dampfkraftwerksleistung von über 70 Prozent.
  • 7. Am 7. Januar 2021 wurde für die französische Bevölkerung ein Appell zum Abschalten von Stromverbrauchern wegen erwarteter Stromengpässe zum 8. Januar herausgegeben. Tatsächlich war der Verbrauch in Frankreich zum fraglichen Zeitpunkt um rund 2,5 GW unter dem Planwert, der einen Tag vorher ermittelt wird.

Zum Verständnis ist im Bild links der Frequenzverlauf direkt nach dem Split dargestellt und rechts die Nahtstelle zwischen den Regelzonen Ost und West. Das Flattern in den letzten 50 Sekunden vor dem Split insbesondere im Osten deutet darauf hin, dass vor dem Leistungsabfall noch etwas Anderes im Osten passiert sein muss. Aber es mag gut sein, dass das vertuscht wird, so wie auch 2006 bei dem Ems-Vorfall, der eine hohe Parallelität hat, wobei die eigentliche Ursache vertuscht wurde.

Der Frequenzeinbruch mit der Netztrennung in Folge, führte zu einem Frequenzeinbruch im Westen um bis zu 270 mHz und zu einem Anstieg um bis zu 600 mHz im Osten. Eine Abweichung um mehr als 250 mHz führt zur Einleitung von Sicherungmaßnahmen gegen einen flächendeckenden Stromausfall, konkret hier also Zonensplit. Es ist anzunehmen, dass dieser Anstieg im Osten durchaus zu Störungen (lokalen Blackouts) geführt hat. Im Westen verlief das Absinken ohne mir bekannte Störungen.

Dieses Verhalten lässt unzweifelhaft darauf schließen, dass ein starker Stromfluss von Osteuropa nach Westeuropa zu dem Zeitpunkt bestand, was auch die Diagramme von transparency.ENTSOe.eu bestätigen, wegen der Stromnot in Frankreich, die letztlich aus dem Zusammenwirken von 1., 3., 4. und 5 resultierte.

15. Januar 2021 | Europäische Kooperation sichert Stromnetz

15. Januar 2021 | System Separation in the Continental Europe Synchronous Area on 8 January 2021 – update

Europa_Split_ENTSO_E_080121
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Frequenzverlauf_ENTSO_E_080121
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Die BRD überstand wegen Punkt 6 die Situation mit Bravour und es entstand in Westeuropa insgesamt kein Stromausfall.

Eine Szenario-Betrachtung

  • 1. Hätte die Temperatur in Frankreich bei minus 10 Grad gelegen, wäre zweifelsfrei der Strommangel so groß gewesen, dass es in Frankreich zu Zwangsabschaltungen in großem Stil gekommen wäre. Damit muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass die durch die Regierung Macron gegen die Empfehlung von EdF durchgesetzte Stilllegung von Fessenheim insbesondere unter Berücksichtigung des verantwortungslosen Vorgehens der deutschen Strompolitik mit der Vernichtung der Kohleverstromung zumindest leichtsinnig, eigentlich aber auch grob fahrlässig war.
  • 2. Stellen wir uns vor, wir hätten in der BRD zum Zeitpunkt eines gleichartigen Vorfalls die Versorgungsituation wie am 12.1. um 1:00 Uhr gehabt, also gerade mal 3 ½ Tage später. Da lag der Fakepower-Anteil (Wind + Biogas, siehe Definition unter https://www.naeb.info/Glossar.htm ) in der BRD bei über 70 Prozent. Damit wäre eindeutig nicht hinreichend Momentanreserve für das Durchfahren eines solchen Frequenzeinbruchs im Netz gewesen mit der zwangsläufigen Konsequenz eines Stromausfalls. Das macht die Fehlentscheidung der deutschen Politik in Form eines Ausstiegs aus der Kohleverstromung nach dem Kernkraftausstieg offensichtlich und zusätzlich muss man der Bundesnetzagentur (BNetzA) gröbstes Fehlverhalten vorwerfen! Es kann nicht sein, dass man in einer Versuchsphase – so ist die gegenwärtige Versorgungsituation ja deklariert - einen Stromausfall mit unter Umständen unvorstellbar hohen Kosten in Höhe von vielen Milliarden Euro und vielleicht sogar vielen Toten in Kauf nimmt, um nachzuweisen, dass das deutsche Stromnetz mit Fakepower betrieben werden kann, was nach Ansicht eines jeden ehrlichen Experten als unmöglich angesehen wird.

Außerdem ist der BNetzA technische Inkompetenz vorzuhalten: Inzwischen schreibt fast jede Zeitung von Momentanreserve, Schwungmassen und ähnlichem, was in der Kraftwerksbranche als 45% Dampfkraftwerkregel bezeichnet wird und noch am 2. März 2020 hat die BNetzA uns auf eine Nachfrage per Email folgendes mitgeteilt: Ausfallsicherheit des Stromnetzes bei Starkwind - 45 % Dampfkraftwerkregel" erhalten. Wir können Ihnen mitteilen, dass uns eine solche Regel mit einem bestimmten Prozentsatz erforderlicher Dampfkraftwerke im Verhältnis zur inländischen Last bzw. Last in einer Regelzone nicht bekannt ist. Die Systemverantwortung für den sicheren Betrieb des Übertragungsnetzes obliegt den Übertragungsnetzbetreibern.

Wir könnten dazu zurückfragen: Die Netzbetreiber haben die Versorgungssituation am 12. Januar zugelassen. Sollen die etwa vorhersehen können, dass in Rumänien eine Stromleitung unterbrochen wird? Es ist elementare Staatsaufgabe, die in jeglicher Hinsicht lebensnotwendige Stromversorgung sicherzustellen!

Abschließend sei noch auf die Parallelität zu dem Vorfall am  4. November 2006 erinnert,  Meyerwerft, Papenburg an der Ems: Damals wurde planmäßig eine Stromtrasse abgeschaltet und dann erfolgte eine unerwartete Zunahme von Wind-Fakepower-Erzeugung wegen mangelhafter Windprognose (die übrigens heute noch genauso unsicher ist wie vor 15 Jahren) mit dem Split-Ergebnis – gemäß Bild unten (Wikipedia).

Damals gab es allerdings massive Blackouts in Frankreich, Italien und Spanien. Zweifelsfrei haben die vier deutschen Regelzonenbetreiber aus dem Vorfall gelernt, so dass sie heute schon Verstöße gegen die 45% Regel (siehe oben) in ihren Regelzonen zulassen in Kenntnis der Situation in ihrer Zone. Und außerdem haben sie die Verantwortung für den Fall n-1 (eine vitale Komponente fällt aus) außerhalb ihres Regelbereiches nicht zu tragen.

Aber hier nun das Bild zum damaligen Zonensplit, wobei auch damals eine stabile Versorgungslage in den Zonen Amprion und ENBW-Netz bestand; und in der Tennet-Zone hat damals die Veränderung im Pump-Betrieb  und ein radikaler Shutdown der Windkraftanlagen den Frequenzsprung nach oben verhindert. Ich bin damals durch die Regionen bis nach Wilhelmshaven gefahren und es standen 12 Stunden später noch fast alle Windkraftanlagen still.

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Aufsplittung des UCTE-Netzes in drei Teilregionen um 22:10:40  - Bildquelle: konvertiert aus Wikipedia UCTE_area_split_at_4_11_2006

Zum Vergleich

Natürlich sind die Ursachen unterschiedlich, einmal war es die Stromnot Frankreichs, kombiniert mit dem Vernichten der deutschen Kapazität, damals war es das Überborden des Windstroms in einem Erzeugungsbereich. Das gemeinsame Problem ist, dass man Ampere (Strom) über große Strecken transportieren will/muss - man beachte die deutschen Bemühungen um die Nord-Süd-Trassen. Und das ist ja das, was die deutsche/EU-Politik als das Maß der Dinge der Energiewende ansieht. Und die Faustformel bleibt weiterhin gültig: Bei einem 400 kV-Netz wird der Strom im Umkreis von 200 km erzeugt.

Das oben gezeigte Szenario (2) ist zwar nur eine Hypothese, die jedoch jederzeit zur Wirklichkeit werden kann. Dass man bei der BNetzA die 45-Prozent-Regel nicht kennt, ist ein Armutszeugnis, das zeigt, wie grob fahrlässig dort gearbeitet wird. Konstruktive Kritik im Sinne der Blackout-Vermeidung an der sogenannten Energiewende wird in der BRD von den Verantwortlichen nicht akzeptiert. So bleibt nur der Weg, abzuwarten, bis sich der GAU (Blackout) einstellt.

Heinrich Duepmann
Vorsitzender NAEB e.V. Stromverbraucherschutz
www.NAEB.info und www.NAEB.tv

Kommentare

Die Rumänen wollten mit der Frankreichnot wegen der außerplanmäßigen Revisionen verdienen und haben ihre Leitungen zu heißgefahren, so dass eine Leitung getrippt ist. Das ist das Ergebnis, wenn man Ampere quer durch Europa transportieren will. Es kam der Split von ENTSO-E. Gleiche Situation wie 2006 bei dem Ems-Traversen: Shutdown und dem anschließenden Trippen der Wehrendorf-Strecke mit Blackout in F, I, E. 

Übrigens, wenn es am 12.1. um 1.00 UTC passiert wäre, hätte D Blackout gehabt: Relation D Fakepower zu KW-Strom 25:75 am 8.1. - die KW haben die 270 mHz locker weg gesteckt. Am 12.1. (von mir wegen der Relation gewählter Zeitpunkt) war Relation 70:30. Hätte zwangsläufig zum Trippen der WKA geführt in D und Tennet-TSO und vermutlich auch Amprion wären weg gewesen.

Noch eine Behauptung: Wären Moorburg und Westfalen E noch am Netz gewesen, hätten die Franzosen da kontrahiert und ein Frequenzeinbruch wäre ausgeblieben. Übrigens sieht man bei Transparency zum fraglichen Zeitpunkt keine Lastzacke in Frankreich.

Als Fakepower- und Energiewende-Gegner ist mir das Ereignis ein schnelle Antwort der Realität auf die deutschen Kohlestromvernichter.

Vor einigen Tagen wären im nördlichen Teil Europas beinahe die Lichter ausgegangen. Die Ursache scheint nun gefunden zu sein. Sie war klein, aber die Wirkung groß. Entsprechende Meldungen dürften sich demnächst mehren.

TE berichtete als eines der ersten deutschen Medien überhaupt vom Frequenzeinbruch im nördlichen Teil des europäischen Stromnetzes am 8. Januar 2021. Nun gibt es ein erstes Untersuchungsergebnis: Relativ kleine Ursache – große Wirkung.

Der europäische Koordinator des Stromnetzbetriebes, ENTSO-E, veröffentlichte ein erstes Untersuchungsergebnis. Demnach hatte eine Störung an einer 400-Kilovolt-Sammelschienen-Kupplung im Umspannwerk Ernestinovo im Norden Kroatiens das Ereignis verursacht. Dadurch wurden die Stromflüsse über dieses Umspannwerk gestoppt und der Strom über benachbarte Leitungen geführt. Dort kam es dann zu Überlastungen. Die Leitung zwischen den serbischen Städten Subotica und Novi Sad fiel durch eine Überstromauslösung aus, es folgten im Dominoeffekt weitere 13 Leitungen. Die für solche Fälle vorgesehenen Regelungen der ENTSO-E funktionierten wie vorgesehen, so dass keine wirklich gravierenden oder dauerhaften Folgen auftraten.

Die Liste der am Ereignistag außer Betrieb befindlichen Kraftwerke ist lang: Beide Blöcke in Fessenheim fehlen (maßgeblich dem deutschen Druck geschuldet), das Kraftwerk Hamburg-Moorburg erkaltet seit dem 18. Dezember, im sächsischen Braunkohlekraftwerk Boxberg wie auch im tschechischen KKW Dukovany waren Blöcke in Reparatur, die KKW Philippsburg und Mühleberg in der Schweiz sind schon seit Ende vorigen Jahres dauerhaft außer Betrieb. Das Steinkohlekraftwerk in Heyden, „Gewinner“ der Ausschreibung zur Stilllegung und am Strommarkt nicht mehr zugelassen, war schon vor dem Ereignis auf Weisung des Netzbetreibers wieder in Betrieb gegangen. In Frankreich standen mehrere Kernkraftwerke in pandemiebedingt länger währenden Revisionen.